EULER: Mehringplatz anknipsen - Ein Gespräch mit dem Koordinationsteam

Das EULER-Projekt (EUropean LEvel-playing-field Reader) war ein EU Erasmus+ gefördertes Trainingsprogramm, das informelle Lernmethoden anwendet, um in Partizipationsprozessen Fähigkeiten und Kompetenzen der lokalen Community aufzudecken und zu fördern, die in formellen Kontexten oft unentdeckt bleiben. In vier Europäischen Städten (London, Antwerp, Berlin und Barcelona), wurde das EULER Projekt in Nachbarschaften durchgeführt, die als kritisch oder benachteiligt gelten. In Berlin wurden unter dem Titel „Mehringplatz anknipsen“ Trainings im Gebiet um den Mehringplatz durchgeführt, um Tools und Skills für Nachbarschaftsinitiativen zu entwickeln.

Das Projekt ist 2017 zu Ende gegangen, die Arbeit wird aber in Folgeprojekten fortgesetzt. BERLIN TRANSFER hat mit den Koordinatoren in Berlin gesprochen, Laura Colini und Lorenzo Tripodi vom Berliner Projektpartner „Tesserae GbR". Beide sind Architekten und Stadtentwickler, leben seit 15 Jahren in Berlin und arbeiten sowohl mit lokalen Initiativen und unabhängigen und gemeinnützigen Organisationen als auch mit lokalen, nationalen und europäischen Institutionen zusammen.


Zum Projektprofil von EULER - Mehringplatz anknipsen


BT (BERLIN TRANSFER): Wie ist Ihre Organisation zu diesem Projekt gekommen?

LC (Laura Colini): Wir wurden 2015 als Partner von City Mine(d) miteinbezogen, einer Organisation aus London, mit der wir schon für ein anderes Projekt zusammengearbeitet hatten, mit dem Ziel, einen neuen Begriff von Qualifizierung durch Kompetenzen („Micronomics“) zu entwickeln, die in informellen Kontexten entstehen.  Daran waren verschiedenen EU-Länder beteiligt. Es gab ein Festival, „Savoir Faire”, eine Art Markt auf Kiezebene, mit der Fragestellung: „Was kann ich, was könnte ich zur Verfügung stellen?“. Es ging darum, in sozial benachteiligten Bürger*innen Kompetenzen zu aktivieren, die in eine Berufsfähigkeit münden könnte, auch jenseits und außerhalb des normalen Bildungswegs, den der Arbeitsmarkt voraussetzt.

LT (Lorenzo Tripodi): Manche Kompetenzen entstehen auch in der politischen Arbeit in der Community auf lokaler Ebene (z.B. im Kampf um das Recht auf Wohnen: beispielsweise die Fähigkeit, Stadt- und Baupläne zu lesen), aber sie werden als Kompetenz nicht anerkannt und nie in Curricula erfasst.  Die Idee war, in einer eher rigid strukturierten Arbeitswelt solche informell entwickelten Kompetenzen als Credits in einem Welfare-System anerkennen zu lassen.  Auf dieses Ziel hat sich im Projekt EULER Citymine(d) konzentriert, da es in Großbritannien die Möglichkeit dieser Anerkennung gibt. Nicht so in den anderen Ländern: Auch deswegen haben sich die anderen EULER-Partner für andere Schwerpunkte entschieden, die mit ihrem eigenen Background und mit dem Kontext verbunden waren, in dem sie agieren würden.

BT: Warum war der Mehringplatz für Sie interessant?

LT: Der Kiez befindet sich seit über 10 Jahren in einem umfassenden Umbruch, binnen weniger Jahre hat sich dort die soziale und bauliche Struktur sehr verändert. In Folge der vielen Prozesse und Programme ("Soziale Stadt/Quartiermanagement",  Projektstudie „Kreative Raumpioniere“  im Auftrag der Wohnungsbaugesellschaft GEWOBAG,  dazu der Umbau des Blumengroßmarkts, die Erklärung zum Sanierungsgebiet und der Milieuschutz) sind dort viele Initiativen entstanden.

LC: Durch die vielen Initiativen vor Ort ist aber auch eine gewisse ‚Saturierung‘ von Angeboten an die Einwohner*innen entstanden. Unsere Idee war, keine zusätzliche Initiative dort zu installieren, sondern vielmehr das Bestehende als ideales Terrain, um Methoden der kreativen Beteiligung an der Stadterneuerung zu erarbeiten. Die Idee war, Erfahrungen und Handlungen, die aus den verschiedenen Kontexten und Initiativen kommen, in einen Curriculum von Skills und Kompetenzen zusammenzufügen, die heutzutage immer wichtiger werden und in einem hybriden Bereich zwischen Stadtplanung, Beteiligungsprozessen, Kommunikation ( die ja in der Stadtplanung immer wichtiger wird), gemeinnütziger Arbeit, Community-Organisation einsetzbar sind.

BT: In welchen Aktivitäten hat sich das Projekt konkretisiert?

LC: Wir haben in engem Kontakt mit der lokalen Initiativen und engagierten Bürger*innen ein Workshopprogramm zusammengestellt. Es sollte einerseits ein Training über Partizipationsmethoden sein, andererseits sollte es aber ein Anlass sein, die Veränderungsprozesse zu analysieren und zu reflektieren, die in diesem Kiez in den letzten Jahren laufen. Zusammen haben wir eine Bestandsaufnahme der vielfältigen fragmentierten Kenntnisse im Kiez gemacht, um diese zu systematisieren und zu vernetzen.

LT: Das Programm basierte auf drei Modulen, mit dem Fokus auf Aspekten, die in allen Beteiligungsprozessen immer mehr von Bedeutung werden, ob es darum geht, eine Community zu organisieren, einen öffentlichen Raum zu gestalten oder gemeinnützige Dienste anzubieten. Zunächst haben die Teilnehmenden die Kiezerkundung unternommen, jeder von ihnen aus einer besonderen Perspektive, mit einer Kartierung der öffentlichen Orten, der Konflikte, der verschiedenen historischen Phasen, usw. Diese Daten wurden dann miteinander vernetzt und in intuitiv nutzbaren Darstellungen übertragen. Dazu kamen auch die Interviews an Menschen im Kiez und die sog. ‚Urban Sketches‘, Video-Erzählungen über Orte im Kiez, die im Laufe des „Story Telling“-Moduls gesammelt wurden. Diese ganzen Materialen, in verschiedenen Formaten, sind die Grundlage für die Entwicklung eines digitalen Atlas über den Kiez geworden, der in leicht zugänglicher Sprache allen zur Verfügung steht, als gemeinsames Gut und als Instrument für lokale Initiativen. Das wurde im Laufe des Erasmus+-Folgeprojektes COMENSI vervollständigt und online gestellt: eine Art nicht kommerziellen Google-Map ‚von unten‘, der alle historischen, rechtlichen, planerischen, verwaltungstechnischen und sozialen Informationen zum Ort enthält und diese mit dem gelebten, subjektiven Wissen der Einwohner*innen über ihren Kiez verbindet.

BT: Wen haben Sie mit diesen Workshops erreicht?

LC: Es war für uns nicht einfach, Einwohner*innen miteinbeziehen: einerseits, weil es im Kiez schon so viele Angebote gibt, andererseits, weil wir von außen kamen. Die Sprache war auch ein Problem. So haben wir uns entschieden, mit jenen Einwohner*innen zu arbeiten, die bereits eine aktive Rolle im Kiez hatten und zu Multiplikatoren werden konnten: im Quartiermanagement, z.B., oder im Nachbarschaftscafé, in der Nachhilfe, bei Sprachkursen, usw., nach dem Konzept: „Train The Trainer“.  Wir haben viele Interviews gemacht und Menschen ausgewählt, die zu Träger*innen und Akteur*innen sozialer Innovation werden konnten, und sind mit ihnen eine Art Bildungsparcours durchgelaufen. Die Workshops wurden vor allem von jungen Menschen besucht, die in diesem sozial benachteiligten Kiez wohnen, aber selbst nicht immer in diese Kategorie passten: Aktivisten und Studenten, darunter auch viele Ausländer, oft mit Interesse für Stadtentwicklung.

BT: Was war innovativ an Ihren Ansatz, verglichen zu den vielen Partizipationsprozessen, die in Berlin laufen?

Viele der einzelnen Ansätze – Interviews, Story Telling – sind nicht neu. Einiges haben wir selbst in der Vergangenheit entwickelt, – zum Beispiel die Methode der urbanen Kiezerkundung und der ‚Kartierung von unten‘, als eine Art Kitt, der alle Aktivitäten zusammenhält. Andere Ansätze kommen durch den Austausch mit unseren Projektpartnern, durch ihre Erfahrungen in anderen sozialen Kontexten. Innovativ ist die Gesamtvision, die Erkenntnis, dass die verschiedenen lokalen Akteuren und Initiativen einen Schatz an Wissen, Erfahrungen und Sichtweisen über ihren Kiez mitbringen, der zwar reich und vielfältig ist, aber auch sehr fragmentiert. Innovativ ist, diese ‚ situated knowledge‘, dieses Wissen aus dem Kontext in Dialog zu bringen und in einem vernetzten System zu organisieren.

Wie hat sich das Projekt auf den Mehringplatz-Kiez und seine Bewohner*innen ausgewirkt?

Schwer zu sagen, denn zwei Jahre sind ein zu kurzem Zeitraum, um Ergebnisse festzustellen. Diese sind bei solchen Projekten ohnehin nicht quantitativ messbar. Es geht eher darum, dass man Samen streut, und möglicherweise keimen sie und wächst woanders was. Viele der Teilnehmer*innen, die bei den Workshops mitgemacht haben, sind Teil unseres Teams geworden und haben ähnliche Projekte in anderen Ländern beantragt, und führen sie dort, in anderen Kontexten und mit anderen Schwerpunkten, mit unseren Methoden durch. Sie sind also Träger*innen von sozialer Innovation geworden. Hier in Berlin sind wir gefragt worden, Workshops in anderen Bezirken zu machen. Und im November stellen wir in der Amerika-Gedenkbibliothek, einem wichtigen Partner vor Ort, den Online-Community-Atlas vor. 

BT: Wie ging es nach Ende des EULER-Projektes weiter?

Die Aktivitäten des EULER-Projektes sind mit dem Erasmus+-Projekt COMENSI ( COmmunity ENgagement for Social Inclusion) fortgesetzt worden, weiterhin am Mehringplatz, und dieses Mal in Partnerschaft mit den Städten Palermo, London, Lissabon und Lubljiana. Schwerpunkt war, die Nutzung des digitalen Nachbarschaftsatlas in den Aktivitäten der lokalen Nachbarschaftszentren während fünf Workshops zu erproben. Durch den Shutdown im März und die Unterbrechung der Projektaktivitäten haben wir den digitalen Atlas mit allen Materialien integrieren können, die im Laufe der zwei Projekte entstanden sind. Prinzipiell sind alle unserer Materialien, auch die EULER-Abschlusskonferenz, online dokumentiert. Ein kleineres Projekt war letztes Jahr URBEX, das Jugendliche aus Berlin, Palermo und Barcelona involviert hat. Aktuell läuft das Erasmus+-Projekt OPEN CCCP, zusammen mit Partnern in London, Barcelona, Palermo und Iași (Rumänien). Der Fokus liegt auf die Nutzung des kulturellen Erbes in lokalen Communities zur Förderung der sozialen Inklusion.  Die Idee ist nach wie vor, lokal zu arbeiten um Methoden zu entwickeln, die auch in anderen Kontexten, in anderen Ländern, angewendet werden können. 

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