„Unser Weg besteht darin, Wissen zu teilen“ – Berlin Transfer im Gespräch mit Timur Parlar, Projektleiter der Beratung zu Bildung & Beruf in Neukölln und Treptow-Köpenick

Die Förderung der Bildungs- und Berufsberatung hat in Berlin mittlerweile eine 30-jährige Geschichte. Seit 2017 legt ein Fachkonzept die Grundsätze und Leitlinien der Bildungsberatung in Berlin fest, um die Qualitätssicherung und damit Beratungsstandards für die 7 Beratungsstellen und die 3 Fachberatungsstellen zu gewährleisten. Seit Anfang August sind die Bildungsberatungsstellen auch im Erwachsenen-Bildungsgesetz verankert. Was macht Qualität in der Bildungsberatung aus, und wie wichtig sind Kooperation und Vernetzung? Darüber hat Berlin Transfer mit Timur Parlar gesprochen, Projektleiter der Beratung zu Bildung & Beruf in Neukölln und Treptow-Köpenick. 

Was macht für Sie Qualität in der Beratung aus? Wie wird Qualität gemessen?

Wir werten die erfolgten Beratungen seit Jahren auch mit Hilfe von Blitzlichtern und Nachbefragungen aus. Wenn wir den Ratsuchenden Optionen und Wissen vermitteln können, so dass sie begreifen, wie Ausbildungssysteme funktionieren und welche Wege zu gehen sind, dann ist dies ein wichtiger Schritt. Aber das Wichtigste dabei ist, dass diese Personen eigenverantwortlich zu handeln lernen, wobei wir sie begleiten. Die Vielfalt der Wege ist groß - ob Weiterbildung, Bewerbungsgespräch, Studienabschluss, Ausbildung, Abitur oder sogar Promotion. Gelungene Beratung heißt für uns immer, dass wir die beratene Person zur Selbstwirksamkeit, zu einer Handlung im Bereich Lebenslanges Lernen motivieren konnten.


zum Projekt:

 Wie erfahren Sie über Ihre Beratungsstelle hinaus, wer von der Beratung erreicht wurde und mit welcher Qualität?

Jede Beratungsstelle wertet ihre Beratungen selbst aus. Darüber hinaus gibt es den Beratungsmonitor: Dort wird eine erfolgte Beratung beschrieben und mit Daten unterfüttert. Es geht um eine statistische Auswertung, um zu erfahren, welche Zielgruppen erreicht und welche Inhalte vermittelt werden. In Sachen Qualität spielen die Fachkonzepte und der Qualitätsrahmen Berliner Modell (QBM) der K.O.S. GmbH die entscheidende Rolle. Wir verwenden CASIAN, ein Dokumentationssystem, das „Arbeit und Leben“ entwickelt hat und mit dem das Monitoring durchgeführt wird, um anschließend die Beratungen im Ganzen auswerten zu können. Unser Träger nimmt zudem jährlich in Anlehnung an die DIN ISO-Zertifizierung ein Audit vor, aber am allerwichtigsten in Sachen Qualität ist das Beratungspersonal.

Was leisten alles Bildungsberater*innen?

Die Berater*innen selbst sind das A und O, ihr Fachwissen ist ein Riesenschatz. Ohne ihr Wissen um die Komplexität gewisser Systeme hätten wir niemals bestimmte Publikationen herausbringen können. Wir haben zum Beispiel ein Dokument von 110 Seiten veröffentlicht, mit dem man eine Vorstellung davon gewinnen kann, auf welche Arten auf dem 2. Bildungsweg ein beliebiger Schulabschluss erreicht werden kann. Außerdem wurde ein Dokument erstellt, das auf 70 Seiten die unterschiedlichsten Wege in den Erzieher*innen-Beruf darlegt. Alles hängt vom Personal ab, wie es weitergebildet wird, welcher Grad an Kontinuität im Kollegium besteht, wieviel vom erarbeiteten Fachwissen weitergegeben werden kann und inwieweit eine bewusst herbeigeführte Personalentwicklung stattfindet. Die Einarbeitung ist hierbei ein sehr langer Prozess: 2 - 3 Jahre sind das Mindeste, um die notwendige Beratungskompetenz und das erforderliche Fachwissen zu erwerben. Wir begreifen uns ja nicht nur als Fachberater*innen, sondern auch als Prozessbegleiter*innen, je nachdem, mit welchem Anliegen die jeweilige Person bei uns erscheint. Die Informationen kann man googeln, aber es gibt Unterschiede zwischen theoretischem Wissen und dem Wissen, wie die Dinge in der Praxis gehandhabt werden: Es gibt immer wieder Sonderwege und Ausnahmen. Und um die zu verstehen, ist es gut, einen Erfahrungsschatz zu haben.

Wie kooperieren Sie mit anderen Akteur*innen der Bildungsberatung?

Wir stehen mit den FBW-Koordinatoren (Förderung der beruflichen Weiterbildung bei den Arbeitsagenturen) und mit der Bundesagentur bezüglich ihres neuen Programms „Bildungsberatung im Erwerbsleben“ in Kontakt. Mit diesen Akteuren versuchen wir, Veranstaltungen zu organisieren - andere Beratungsstellen sind uns da schon vorausgegangen. Mit dem Jobcenter sind wir eng verknüpft: Wir arbeiten trägerneutral und unabhängig, aber wir führen gemeinsame Veranstaltungen vor Ort durch. Der Vernetzungsgedanke birgt einen Riesenschatz. Es geht nicht nur um Wissen, sondern auch um Kontakte: Wen kann ich für gewisse Themen bei der Senatsverwaltung, im Bereich Schulabschlüsse, im Bereich Erzieher*innen-Ausbildung oder für bestimmte Zielgruppen, beispielsweise für Sinti und Roma, für Frauen (Frauenberatungsstellen) oder für Menschen mit geringer Literalität (Alphabündnisse) ansprechen? Unser Netzwerk ist sehr verzweigt. Neue Mitarbeiter*innen bringen immer wieder Netzwerke mit, die aber häufig auch mit ihrem Weggehen für uns verloren gegangen sind. Um diesem Umstand Abhilfe zu leisten, führen wir seit 2 - 3 Jahren Netzwerklisten mit den Namen von Ansprechpartnern, damit dieses Wissen im Falle eines Personalwechsels nicht untergeht.

Wie findet der Fachaustausch zwischen den kooperierenden Beratungsstellen im Falle spezifischer Probleme statt?

Wir arbeiten seit 8 - 9 Jahren intern mit dem Wissensmanagementsystem DIIGO, mittlerweile aber auch extern mit den anderen Beratungsstellen, die unter dem Label „Beratung zu Bildung & Beruf“ laufen. Seit einem Jahr gibt es hierzu viele Fortbildungen. DIIGO ist ein relativ gutes Wissensmanagementsystem, aber leider wird es noch zu wenig genutzt: Einige sehen es als sinnvoll an, andere nicht. Sicher spielt auch Konkurrenzdenken bei der Bewertung mit. Wir sind aber relativ offen und sehen unsere Arbeit als eine gesellschaftliche Aufgabe an, als eine sinnstiftende Arbeit, eine Wertearbeit.  Deswegen besteht unser Weg darin, Wissen zu teilen.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung in dieser Kooperation?

Wir sind als Beratungsstellen im Bereich der Digitalisierung gut aufgestellt, haben aber dennoch einen kritischen Blick darauf. Was bedeutet Digitalisierung für die Gesellschaft? Diese Frage müssen wir uns stellen. Für bestimmte Berufe ist die Digitalisierung sehr wichtig, aber in anderen Bereichen muss man sich fragen: Wieviel Digitalisierung braucht der Mensch? Dieser Themenkomplex wird zu wenig thematisiert. Dennoch setzten wir uns im Team hiermit auseinander, auch mit Bekannten, die im IT-Bereich arbeiten. Unsere Bedenken geben wir den Kunden natürlich nicht eins zu eins weiter, aber wir achten auf das, was Digitalisierung für die Gesellschaft auch bedeutet. Aufschlussreich und empfehlenswert ist in dieser Hinsicht beispielsweise die Ausstellung im Berliner „Futurium“.

Wie entscheiden Sie, welche Weiterbildungsanbieter für bestimmte Interessent*innen der richtige ist? Gibt es eine Zusammenarbeit mit Bildungsträgern?

Wir beraten prinzipiell trägerneutral und unabhängig. Wir geben den Ratsuchenden Qualitätskriterien und Checklisten mit an die Hand, damit sie lernen, worauf sie achten sollen. Es ist in der Trägerlandschaft nicht so einfach, Ratschläge zu geben: Dass ein Dozent oder eine Dozentin sehr gut war, heißt ja nicht viel, denn bei einem Personalwechsel wäre dieser Umstand hinfällig. Wir stützen uns auch auf die WBD (Weiterbildungsdatenbank). Wenn wir bei Trägern eine gewisse Kontinuität feststellen, wenn sie schon lange im Geschäft sind, dann weisen wir darauf hin. Wichtig ist aber auch, dass Ratsuchende auf Kriterien achten, die für sie wichtig sind, denn Bedürfnisse sind sehr verschieden: Für die einen ist e-Learning gut, für andere wiederum kann die Methode des Blended Learnings besser geeignet sein, das ist individuell.  Bei einigen Angeboten gibt es ohnehin nur einige wenige Bildungsträger, die in Frage kommen: Für den Bereich IT zum Beispiel braucht man keine weitreichende Empfehlung. Außerdem entscheiden die Kunden gelegentlich nach ganz anderen Kriterien, als wir uns vorstellen, zum Beispiel nach der Nähe zu ihrem Wohnort oder bei Weiterbildungsmaßnahmen, die gefördert werden, ob Bildungsgutscheine oder -prämien angenommen werden. Bei Letzteren sind die Personen oft schon vorinformiert und haben bereits eine Vorstellung davon, wo sie die Weiterbildung machen könnten. Wir zeigen ihnen dann ein paar Alternativen, damit sie die Angebote vergleichen können. Wir stehen natürlich auch in Kontakt mit Bildungsträgern, schauen uns an, wie die Räumlichkeiten aussehen und wie die Dozenten*innen mit den Weiterbildungsteilnehmer*innen umgehen. Es sind allerdings nicht immer die besten Pädagog*innen zugange: Das hat auch oft mit der Honorierung oder anderen Faktoren zu tun. Aber dies ist uns alles bekannt, und wir versuchen, den Kund*innen diejenigen Kriterien an die Hand zu geben, die sie eine gute Entscheidung treffen lassen.

Inwieweit berücksichtigen Sie das Feedback der Teilnehmenden?

Das Feedback der Teilnehmenden wird nicht ausgewertet, sondern findet lediglich als Einzelmeinung Erwähnung. Dies liegt daran, dass wir vorsichtig sein müssen, denn so viele Zahlen als Grundlage für eine Bewertung haben wir nicht. Kursnet, das Portal für berufliche Aus- und Weiterbildung, hat ein System entwickelt, das das Feedback der Teilnehmenden berücksichtigt. Viele Bewertungen haben sich hier jedoch noch nicht niedergeschlagen. Die AZAV-Zertifizierung (Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung - Zertifizierung für Aus- und Weiterbildungsunternehmen) hingegen ist für mich noch kein Qualitätskriterium in Sachen Erwachsenenbildung. Wir kommen aber langsam voran! Ich sehe es immer als Prozess an. In Sachen Qualität der Beratung sind wir schon relativ gut aufgestellt, aber hinsichtlich der Qualität der Weiterbildungsangebote ist noch viel Potenzial vorhanden.

Wie erfährt oder ermittelt die Beratungsstelle, welche Weiterbildungsbedarfe es in bestimmten Betrieben und Branchen gibt? Gibt es Kontakte mit den Weiterbildungsverbünden?

Bislang nicht, wir arbeiten vor allem mit Fachkräftestudien, die nicht nur auf Berlin und Brandenburg bezogen sind, sondern auch auf die restlichen Bundesländer und allgemein. Wir wissen oft, welche Weiterbildung gut ist und benötigt wird, aber wir finden sie oft nicht. Viele Weiterbildungen können einfach nicht auf dem Markt bestehen, weil sie teuer sind, weil sie Expertise brauchen und weil die Träger Gewinne machen müssen, um rentabel zu sein. Die Kammern andererseits bieten gute Weiterbildungen an, die aber für Bildungsgutscheine ausgeschlossen sind. Es gibt zudem Hochschulen oder Institute, die gute Angebote haben. Sie lassen sich jedoch nicht AZAV-zertifizieren, was notwendig wäre, um mit der Arbeitsagentur zusammenarbeiten zu können.  Für Englischsprechende, die digital affin sind, gibt es auch zahlreiche Online-Angebote, selbst von internationalen Anbietern, die Qualität auf Uni-Niveau bieten. 

Hat sich mittlerweile der Begriff des Lebenslangen Lernens etabliert?

Wenn es um berufliche Bildung geht, denken die meisten an einen Zeitraum von 3 - 3,5 Jahren. Das Erwerbsleben ist aber 15mal so lang. Dieser Fokus hin auf Lebenslanges Lernen wird langsam und durch kleine Schritte von der Nationalen Weiterbildungsstrategie und der Enquetekommission etabliert. Dies sind alles kleine Andeutungen, aber ich glaube, dass es noch viel Potenzial gibt, und dass Vieles in Sachen Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit noch nicht adäquat thematisiert worden ist.

Das Projekt Beratung zu Bildung & Beruf Neukölln und Treptow-Köpenick wird gefördert aus Mitteln der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales.

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