Soziale Innovation und cross-sektorale Zusammenarbeit: Der Vision Summit 2014

Im Austausch und in der Zusammenarbeit mit anderen entsteht etwas, das größer ist als die Summe der einzelnen Teile und Interessen. WeQ – die Wir-bezogenen Qualitäten, d.h. gemeinwohl-orientierte Ziele und team-orientierte Prozesse – lösen die Ich-Qualitäten oder „IQ“ ab. Auf der Konferenz ist man sich einig: Uns steht eine gesellschaftliche Wende bevor.

 

Es gibt immer mehr Geschäftsmodelle, in denen nicht mehr nur der Profit, sondern gleichzeitig auch der gesellschaftliche Nutzen im Vordergrund steht.  Wir-Qualitäten sind, laut Peter Spiegel vom Genisis-Institut, das den Vision Summit seit 2007 organisiert, eine alte Philosophie, die allerdings gerade einen „substanziell neuen Stellenwert“ bekommt und sich zum „Megatrend“ entwickelt. Prozesse laufen stärker „bottom-up“, Konsumenten werden zu Prosumenten und neue Kommunikations- und Informationstechnologien schaffen immer größere Transparenz und Beteiligungsmöglichkeiten. Letzteres greift auch die Bundesregierung mit ihrer ressortübergreifenden High-Tech Strategie „Innovationen für Deutschland“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und des Bundeswirtschaftsministeriums auf, mit der sie eine „partizipative, innovationsfreundliche Kultur“ schaffen will, wie Iris Gleike, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie erklärt. Neben einer engeren Kooperation zwischen Wirtschaft und Wissenschaft wird daher auch eine stärkere Bürgerbeteiligung angestrebt. Allerdings könnten die Bemühungen der Politik für eine breitere Zusammenarbeit noch weitergehen, stichelt Moderatorin Andrea Thilo: Sie hätte sich gewünscht, dass Frau Gleike am gesamten Summit teilnimmt und sich in den Workshops einbringt.

Die Beteiligung des öffentlichen Sektors ist ein Thema, das auch in der Podiumsdiskussion am zweiten Konferenztag aufgegriffen wird, und zwar im Kontext von Transfer und Nachhaltigkeit: Nach Meinung von Verleger Dr. Sven Murmann ist der Staat beim Thema Transferstrategien zur Überwindung der „Projektitis“ gefragt. Aufgabe muss es sein, laut Dr. Dr. Christoph Glaser von der Benckiser Stiftung, eine stärkere Zusammenarbeit mit der Verwaltung anzustreben. Beispiel hierfür sind Social Impact Bonds, die im Rahmen des Pilotprojekts „Eleven Augsburg“ bereits auch in Deutschland erprobt wurden (mehr zu Social Impact Bonds siehe auch Peter Ramsden's Keynote auf der Berlin-Transfer Social Innovation Tagung). Andere Hindernisse an der sektorübergreifende Kooperation und Ko-Kreation werden in der zögerlichen Haltung mancher NGOs gegenüber Unternehmen gesehen, die sich gegen den Vorwurf des „Green-Washings“ wehren müssen. Laut Tanja Gönner, Vorstand der GIZ, sind hier in den letzten Jahren allerdings „große Sprünge“ geschehen, d.h. das Engagement von Unternehmen hat sich in den letzten Jahren qualitativ ein gutes Stück weiterentwickelt. Schwarz-Weiß-Denken müsse überwunden werden, so Gönner: „Differenzierung tut weh, aber nur in der Differenzierung kann man wirklich erfolgreich sein“.

Der öffentliche Sektor soll stärker eingebunden werden – auch um die staatliche Förderung sozialer Startups zu erleichtern und ordnungspolitische Hürden abzubauen: Soziale Unternehmer können beispielsweise keine Gründungsförderung erhalten, da sie oft auch Spenden einnehmen und sich daher als gemeinnützig aufstellen müssen.  
Doch auch die Einbindung großer (kirchlicher) Träger bzw. deren Zusammenarbeit mit kleinen sozialen Unternehmen kann noch weiter ausgebaut werden, um die Nachhaltigkeit und den Transfer der innovativen Ansätze zu gewährleisten.

Für den Hirnforscher Prof. Dr. Gerald Hüther bedeutet WeQ eine Gesellschaft, in der der die Menschen nicht voreinander Angst haben, sondern in der man sich „begegnet“ statt „benutzt“. Die beiden Preisträger des Vision Awards Thorkil Sonne von Specialisterne und Ana Bella Estevez von der Fundacíon Ana Bella zeigen, welche Chancen in einer solchen Begegnung liegen können. Denn WeQ bedeutet auch, dass jeder für seine individuellen Stärken geschätzt wird. Thorkil Sonne ist selbst Vater eines autistischen Sohnes und weiß daher um die Stärken von Autisten. Mit Specialisterne vermittelt er sie aufgrund ihrer besonderen Begabungen in IT-Jobs bei SAP.

Standing Ovations bekam die zweite Preisträgerin des Vision Award, Ana Bella Estevez – nicht nur für den Award, sondern vor allem für ihren außergewöhnlichen Mut: Gestern, am 11. September vor 13 Jahren brachte sie den Mut auf, ihren gewalttätigen Ehemann zu verlassen. Und nicht nur das: Sie gründete ein Netzwerk und Anlaufstelle für andere „survivor women“. Eine von drei Frauen wird Opfer von Gewalt, doch nur 14% der Frauen in Europa haben den Mut, häusliche Gewalt zur Anzeige zu bringen. Ana Bella Estevez will diesen Frauen den Mut geben und gleichzeitig diejenigen unterstützen, die es bereits geschafft haben. Häusliche Gewalt ist ein unsichtbares Problem und auch die betroffenen Frauen – viele von ihnen aufgrund der jahrelangen Unterdrückung gering qualifiziert – arbeiten häufig in „unsichtbaren“, gesellschaftlich wenig anerkannten Jobs. In Kooperation mit Danone werden die betroffenen Frauen zu Markenbotschafterinnen ausgebildet – wobei genau ihre Qualitäten als „Überlebende“ zählen. Sie werden nicht im Sinne einer positiven Diskriminierung aufgrund ihrer Opferrolle und vermeintlichen Schwäche, sondern wegen ihrer gewonnenen Stärke und Qualitäten als „Überlebende“ eingestellt, um das Unternehmen zu repräsentieren. 210 Frauen wurden zu Markenbotschafterinnen ausgebildet und Danone profitiert von höheren Verkaufszahlen und einer größeren Motivation der Mitarbeiterinnen.

Die Zusammenarbeit der Fundacíon Ana Bella und Danone zeigt, wie Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Organisationen gemeinsam Wirkung erzielen können. Die heutigen gesellschaftlichen Herausforderungen übergreifen allerdings nicht nur Sektoren, sondern auch die nationalen Grenzen. Sie sind „Probleme ohne Pass“, wie Tanja Gönner, Vorstand der GIZ es auf den Punkt bringt. Für die internationale Zusammenarbeit bedeutet das, dass Deutschland mehr Verantwortung übernimmt und seine Zusammenarbeit mit den Ländern verstärkt, aus denen es seine Rohstoffe bezieht. Außerdem soll es – zur Sicherung der vitalen Interessen, aber langfristig auch zur Sicherung der globalen Stabilität – seine Expertise im Bereich der erneuerbaren Energien exportieren.

WeQ ist somit Rezept für mehr Gemeinschaftlichkeit weltweit – wenn es denn gelingt und Social Innovator Van Bo Le-Menzel („Hartz IV Möbel“) recht behält, der „den Menschen zutraut, dass wir im Kern alle Geber sind“. Diesen Optimismus teilt auch Jeremy Rifkin, der in der neuen „Sharing Economy“ eine Revolution sieht, die den Kapitalismus zurückdrängen wird: Für ihn befinden wir uns gerade am Beginn einer Revolution, einem historischen Wendepunkt. Wie in der ersten und zweiten industriellen Revolution führt die technologische Entwicklung derzeit zu einer Umwälzung von Kommunikation, Energie, Transport und Produktion. Im 19. Jahrhundert waren es die Buchpresse, Dampfmaschinen, die Eisenbahn und Telegramme, heute sind es die Digitalisierung und Demokratisierung nicht nur der Kommunikation, sondern auch der Energie (durch die Energiewende, mit der die Produktion von  Wind- und Solarstrom immer billiger wird) und damit des Transports,  und – durch 3D-Druck und das Sharing sämtlicher Güter von Autos bis zu Kleidung und Spielsachen – der Produktion und der Logistik. Alles wird künftig mit Sensoren ausgestattet sein, sodass nicht nur alle Menschen, sondern auch alle Dinge miteinander in einem riesigen „Internet der Dinge“ verbunden sind. Konsumenten werden zu Prosumenten, die selbst produzieren, nutzen und teilen. Unternehmen werden verdrängt durch genossenschaftliche Zusammenschlüsse, wie sie im Bereich der erneuerbaren Energien bereits bestehen (früher Vorreiter waren hier die Elektrizitätswerke Schönau, die aus einer Bürgerbewegung heraus entstanden sind).

Dinge werden kostenlos zur Verfügung gestellt oder geteilt, wodurch eintritt, was sich frühere Ökonomen in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen konnten: Die Grenzkosten der Produktion bewegen sich gegen Null, doch von den Skaleneffekten profitiert die Gesellschaft, nicht die Unternehmen.

In der Sharing Economy zählt nicht der Besitz, sondern der Zugang. Darin, so Rifkin, liegt nicht nur eine Chance für die Bekämpfung des Klimawandels, sondern auch für eine bessere Gesellschaft. Doch was bedeutet es für den Faktor Beschäftigung, wenn Maschinen unsere Arbeit übernehmen und immer weniger produziert wird? Laut Rifkin verschieben sich die Arbeitsplätze in den sozialen Sektor, soziales Kapital wird freigesetzt und der gemeinnützige Sektor wird einen weiteren Aufschwung erleben. Bereits Kinder lernen das Konzept „sharing is caring“, wenn sie ihre Spielsachen nicht besitzen, sondern sie nach einer Weile über Online-Plattformen an andere Kinder weitergegeben werden.

Vom Eigennutz zum Gemeinsinn – zu gut um wahr zu sein? Sir Maynard Keynes prophezeite 1930, dass die Menschen durch steigenden Wohlstand und bessere Produktivität nur noch 15 Stunden die Woche arbeiten würden. Weit gefehlt. Auch die Kritik an Rifkins optimistischem Szenario bleibt nicht aus: Der Zukunftsforscher Dr. Harald Welzer sieht in manchen Sharing-Angeboten wie Uber lediglich die Nutzung neuer Geschäftschancen – was zeigt, dass sich die Werte der heutigen Wettbewerbsgesellschaft noch nicht geändert haben. Eine völlige Transformation hält er für irreal und auch nicht wünschenswert; es gäbe viele Errungenschaften, die erhalten werden müssten, was ja nicht dagegenspräche, sie mit Neuem zu kombinieren. Darüber, dass weiterer Nachholbedarf bei der cross-sektoralen Zusammenarbeit besteht, ist man sich einig. Die vielen innovativen Beispiele allerdings, die auf der Konferenz vorgestellt wurden – von der Arbeitsmarktintegration benachteiligter Gruppen über neue Ansätze in der Bildung hin zu den neuen „Sinn-Medien“ – zeigen, dass neue Wege möglich sind und geben Hoffnung, dass tatsächlich ein Umdenken stattfindet.

 

Text: Nina Roßmann

Bildnachweis: Vision Summit

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